Valentin ist eine Erfindung des Kommerzes. Gefördert von
Blumen- und Süßwarenhändlern, die sich an diesem Tag ein goldenes Höschen
verdienen. Ähnlich wie das moderne Weihnachten. Man glaubt, man muss seinen Liebsten an
exakt diesem Tag etwas schenken, ihnen an diesem einen, eigentlich belanglosen
Tag des Jahres verdeutlichen, dass sie das ein und alles für einen sind. Warum
überhaupt? Wissen die das denn nicht?
Meine Mutter wollte früher nie, dass wir ihr etwas zum
Muttertag schenkten. „Weshalb, meine lieben Kinderchen, solltet ihr das tun?
Möchtet ihr eure Mutter nicht lieber das ganze Jahr über respekt- und liebevoll
behandeln, anstatt zu versuchen, an einem einzigen Tag sämtliche eurer
zahlreichen Schandtaten der anderen 364 ¼ Tage zu vergessen zu machen?“
Ich konnte das nicht verstehen. Schließlich hatte ich ihr in
der Schule doch so liebevoll einen Kaktus eingepflanzt, und noch ein kleines
Holzstäbchen mit einem aus Filz ausgeschnittenen Herz hineingesteckt. "Zum
Muttertag“ stand darauf. Und damit konnte ich nun nicht die ganzen verkratzten
Wände, überzogenen Taschengeldforderungen und stets wachsenden Berge an
Dreckwäsche vergessen machen? Wie fies ist das denn?
Mit dem Alter kommt die Weisheit, munkelt man. Dass das
nichts mit pigmentarmen Farbtönen zu tun hat, merke ich allein an meiner unfassbar
sexy sonnengebräunten Haut, um die mich meine Gäste so beneiden – und ob der so
manch ein Thai mir am Liebsten kopfschüttelnd den Vogel zeigen würde. Wer will
schon braun sein, wenn man weiß sein könnte? ;)
Abseits dieser Oberflächlichkeiten leuchtet mir so langsam
ein, was meine Mutter einstmals gemeint haben könnte. Warum sollte man
Geschenke schenken, nur, weil der Kapitalismus es einem so diktiert? Schwingt
nicht auch beim Beschenkten da ein wenig der Gedanke mit: „Aha, das ganze Jahr
lang nichts von sich hören lassen, doch zu Weihnachten kriege ich wieder einen
selbstgestrickten Kartoffelsack der hässlich ist wie Amy Winehouse ohne Make-Up?“
Ich habe zu vergangenem Weihnachtsfeste eher wenige
Geschenke erhalten. Die meisten musste ich mir sogar selbst besorgen. Doch das
ist auch gut so – die wenigen, die ich erhielt, wusste ich umso mehr zu
schätzen. Und mir wurde einmal mehr bewusst, dass manche Menschen zu mir halten
werden, egal, wo auf Welt ich mich herum treibe.
Tja. Und manchmal ist Weihnachten eben auch nicht nur am
24.12. Manchmal kann es auch am 14.02. sein – die Ziffern sind die gleichen.
Und genau so war es auch heute: Nichtsahnend sprang ich nach dem 2. Weckerklingeln
unter die kalte Dusche, genoss gedankenverloren mein Schokoladenmüsli auf
meinem Balkon beim Blick ins Grüne, zupfte die Uniform an allen Enden in Position
und marschierte zur Arbeit. Soweit noch nichts Ungewöhnliches.
Erst beim Durchschreiten der Glastüre bemerkte ich ein recht
ansehnliches Paket auf meinem Schreibtisch liegen. Absenderin: Carina Wieland.
Die ersten Ameisen wuselten bereits geschäftig um den Karton
herum, und so machte ich mich schleunigst daran, die Krabbler zu verscheuchen –
und das Paket in genaueren Augenschein zu nehmen.
Es dauerte keine fünf Sekunden, da war das Klebeband
verrissen und die Augen des Chris sehr weit auf: Vor mir verbargen sich
Schokolade, Müsli, Nüssli und – Spannung – ein Roggenvollkornbrot in der
Dunkelheit der Box!!!
Anbei lag noch eine Karte mit der Aufschrift: „Ja ist denn
schon wieder Weihnachten?“ Nur knappe zwei Monate ist es her, dass diese Karte liebevoll
von Hand auf ihrer Rückseite beschriftet wurde.
Keine Frage, dass es einer der längsten Arbeitstage meiner
Existenz wurde, doch schließlich schnappte ich mir den Karton, wünschte allen
ein wundervolles Wochenende (da Valentin ein nationaler Feiertag hier ist,
haben ausnahmsweise fast alle mal 2 Tage frei) und wippte beschwingt und bewusstseinserweitert
grinsend in Richtung meines Apartments.
Dort angekommen, fuchtelte ich flugs die nervige Pappe aus
dem Weg und erlabte mich an dem Anblick vergessen geglaubter Güter. Brot.
Richtiges, deutsches, dunkles Brot! Sensationell.
Das geschulte Auge bemerkt natürlich sofort, dass hier bereits das erste Raffaelo fehlt... ;) |
Nur wenig später befand ich mich auf dem Weg zum nächsten
Supermarkt, erstand dort Butter, Käse, Cocktailtomaten und Granatapfelsaft,
sowie feinste deutsche Hausmacherwurst und Fleischsalat bei meinem lokalen
Lieblingsmetzger. Der Schmaus konnte beginnen…
Liebevoll wurde draußen auf dem Balkon das Buffet
hergerichtet, sodann das Brotmesser gezückt und – zack – war die erste Stulle
gaumenbereit. Trotz allmählich einsetzender thailändischer Gelassenheit konnte
es mir in diesem Falle gar nicht schnell genug gehen, die Brotscheibe durch
meine sich öffnenden Lippen hinein in den gierigen Schlund zu schieben.
Ich habe einmal ein Wort gehört, welches die daraufhin
einsetzende Gefühlsexplosion zumindest annähernd ein wenig beschreiben kann:
Geschmacksknospenorgasmus.
Es wurde ein Fest vom Feinsten: Brot mit Lyoner, Brot mit
Fleischsalat, Brot mit undefinierbarem Karotte-Gemüse-Zucker-Aufstrich aus dem
Thai Supermarkt, Brot mit Käseschaiblette, Brot mit Brot… keine Kreation wurde verschont.
Seit mich mit 18 Jahren das Reisefieber packte und ich mich mit
nichts als einem Pass, einer Reisetasche, einer Kreditkarte und einem Kopf
voller Träume nach Australien absetzte, habe ich noch keine Nation auf dieser
Welt ausfindig gemacht, welche so feines Brot fabriziert wie die Deutschen. Ebenso
wenig fand ich jemals Reisende, welche Brot in der Welt so vermisst haben wie
die Deutschen. Man möchte fast meinen, dass Jesus ein heimwehkranker deutscher
Backpacker auf Rucksackreise im Orient war, als er bat: „Unser täglich Brot gib‘
uns heute.“
Manchmal ist es Brot, das das Leben so lebenswert macht –
und zwar nicht nur, wenn der FHG Unterstufenchor beim Oliver Twist Musical „Brot,
herrliches Brooot“ traällert. Als ich da so in Badeshorts auf meinem Balkon
stand und beobachtete, wie die letzten Sonnenstrahlen des Tages den vormals
tiefblauen Himmel langsam in ein orangeliches Zinoberrot verwandelten und die
verschiedensten Vöglein ihr abendliches Gute-Nacht-Lied zwitscherten, da wurde
mir, während ich mir genüsslich die letzten Happen des Roggenvollkornbrotes auf
der Zunge zergehen ließ, bewusst: Das
ist das Leben. Und zwar genau so, wie es immer sein sollte.
Vielen herzlichen Dank, liebe Carina, dass du mir so fern
meiner Familie ein so beträchtliches Stück Heimatgefühl gegeben hast!
Und vielen herzlichen Dank an euch alle, ihr fleißigen
Leser, dass ich auch an Valentin niemals das Gefühl haben muss, ich sei alleine
auf dieser Welt.
"Einen wahren Freund,
eine wahre Freundin,
kann man nicht verlieren.
Verlieren
kann man nur die Illusion
die man sich über manche Menschen macht."